1,5 Millionen kWh Gas gespart – und 30 % Strom
Heizen im Winter, kühlen im Sommer: Mit ihrem Wärmerückgewinnungs¬konzept gelingt es der Paul Hartmann AG, die Kompressorenabwärme in ihrem Werk in Herbrechtingen das ganze Jahr über sinnvoll zu nutzen. Das Konzept umfasst neben einem Wärmetauscher und einer Absorptionskälteanlage auch fünf ölfrei verdichtende Schraubenkompressoren von Atlas Copco.
Betritt der Besucher das Foyer der Paul Hartmann AG in Herbrechtingen, fällt der Blick auf eine riesige Schale voller frischer Äpfel. Mitarbeiter und Gäste dürfen sich hier gern bedienen – eine der Aufmerksamkeiten des Unternehmens in punkto Zufriedenheit und Gesundheit der Belegschaft. Auch die großzügigen Büros und die hellen, pieksauberen Produktionshallen zeugen davon, dass es hier gerne mal „ein bisschen mehr“ sein darf. Geht es allerdings um das Thema Energie, ist man in Herbrechtingen knauserig. „Bereits 2010 haben wir mit der Einführung eines Energiemanagementsystems gemäß DIN ISO 50001 in den deutschen Produktionsbetrieben begonnen“, erklärt der Technische Leiter, Christian Koch. „Hier am Standort haben wir im Jahr 2014 wesentliche Maßnahmen zur Effizienzsteigerung abgeschlossen. Unter anderem haben wir unsere Druckluftversorgung komplett modernisiert und ein ganzjähriges Konzept zur Wärmerückgewinnung umgesetzt.“
Innerhalb der Hartmann-Gruppe ist das 1996 errichtete Werk in Herbrechtingen das größte für die Produktion von Inkontinenzprodukten. An zwölf Linien werden Vliese und Folien mit verschiedenen Applikationen zu jährlich rund einer Milliarde Erwachsenenwindeln verarbeitet. Die Anlagen laufen in einem kontinuierlichen Vier-Schicht-Betrieb von Sonntagabend 21 Uhr bis Samstagabend 21 Uhr. Etliche Tausend Kilometer Material werden täglich gefördert, transportiert, gefaltet, glattgezogen und verklebt. „Druckluft benötigen wir hauptsächlich als Antriebsenergie für die Zylinder zum Falten, zum Bedienen von Materialspeichern, für Blasdüsen, Steuerventile, Beschichtungsanlagen und Hotmelt-Aufträge“, erläutert Koch. „Wir haben hier einen relativ kontinuierlichen Verbrauch zwischen 110.000 und 130.000 Normkubikmetern pro Tag und nur geringe Schwankungen.“
1996 startete die Produktion zunächst mit einer eigenen Druckluftanlage. Diese ging im Jahr 2000 ins Contracting über und wurde über die folgenden zehn Jahre von einem großen baden-württembergischen Stromlieferanten betrieben. Als der Vertrag 2010 auslief, stellte sich für das Unternehmen die Frage, ob man seine Druckluft weiterhin über einen Contracting-Vertrag beziehen oder in Eigenregie erzeugen sollte. „Wir haben dann in Zusammenarbeit mit unserem ‚Global Technical Service‘ und einem externen Büro Contracting und Eigenerzeugung gegeneinander abgewogen“, beschreibt Michael Mak die Vorgehensweise. Mak ist seit 2010 zuständig für das Energiemanagement bei der Paul Hartmann AG und hat als Projektingenieur die Planung und Installation der neuen Druckluftversorgung begleitet. Diese Analyse habe eindeutig ergeben, dass es für den Standort sinnvoll ist, die Druckluft selbst zu erzeugen. „Die neue Druckluftanlage mit Wärmerückgewinnung haben wir 2011 gemeinsam mit Atlas Copco realisiert, die Absorptionskälteanlage folgte 2014 als letzter Schritt.“
Übergeordnete Steuerung und drehzahlgeregelte Kompressoren
Heute arbeiten in der Kompressorenstation fünf ölfrei verdichtende Schraubenkompressoren der Essener Atlas Copco Kompressoren und Drucklufttechnik GmbH: zwei drehzahlgeregelte ZR 315 VSD FF sowie zwei ZR 250 FF und ein ZR 90 FF mit fester Drehzahl. Das Kürzel FF (Full Feature) steht für die Integration der Druckluftaufbereitung in den Maschinen. Da es sich bei der Paul Hartmann AG um einen Hersteller von Medizin- und Hygieneprodukten handelt, war die Ölfreiheit der Kompressoren ein absolutes Muss. Im Normalfall sind drei bis vier Kompressoren im Betrieb und bedienen den täglichen Druckluftbedarf. Der zweite große ZR 315 VSD FF wurde als Redundanz angeschafft und läuft im wochenweisen Wechsel mit der anderen drehzahlgeregelten Maschine. Eine ES-360-Steuerung von Atlas Copco („ES“ = Energiesparsystem) koordiniert den Betrieb der einzelnen Kompressoren und optimiert so die Gesamteffizienz der Druckluftversorgung. „Durch die Modernisierung der Anlage sparen wir rund 30 Prozent Energie ein und verfügen jetzt über eine stabilere Drucklufterzeugung“, lobt Mak die neue Station. „Heute fahren wir die Anlage mit 7 bar. Früher – ohne Steuerung und drehzahlgeregelte Maschine – benötigten wir 8,5 bar, um die deutlich höheren Schwankungen auszugleichen.“
„Als Amortisationszeit für die gesamte Druckluftversorgung waren sechs Jahre geplant, und dieser Wert hat sich jetzt bestätigt“, ergänzt Koch. „Als damals die Investition anstand, lagen uns verschiedene Contracting-Angebote vor. Unsere Controller und Finanzexperten entschieden, dass es für uns unterm Strich günstiger ist, diese Investition selbst zu tätigen.“
Die Wärmerückgewinnung
Da das Druckluftkonzept von Anfang an eine Wärmerückgewinnung vorsah, wurde in der Druckluftstation auch eine Wärmetauscheranlage der ONI-Wärmetrafo GmbH, Lindlar, installiert, die die Abwärme der fünf Kompressoren für Heiz- und Kühlzwecke nutzbar macht. „Es gibt ein übergeordnetes Energiekonzept, in dessen Rahmen für den Standort Herbrechtingen verschiedene Szenarien durchgespielt wurden“, erläutert Richard Horsch, der als Senior Manager Group Technology Services bei der Paul Hartmann AG die Druckluft- und Wärmerückgewinnungsprojekte gesteuert hat. „Unter anderem wurde eine sinnvolle Abwärmenutzung aus der neuen Drucklufterzeugung geprüft. Nutzungsmöglichkeiten gab es auf jeden Fall im Winter. Von daher stand für uns fest, dass wir eine Wärmerückgewinnung installieren und diese mindestens im Heizfall nutzen wollten.“
Inzwischen haben Horsch und sein Team ein jahreszeitabhängiges Konzept zur Abwärmenutzung entwickelt, das auf ein Höchstmaß an Effizienz zielt. „Da wir hier am Standort einen relativ großen Heizkreis und verschiedene Gebäude haben, gibt es die Möglichkeit, in der Übergangsphase nur über das Netz im Verwaltungstrakt zu heizen, weil wir dann in der Produktion und den Nebengebäuden eigentlich keine Wärme brauchen“, erklärt Horsch. „Dann fahren wir den kurzen Weg und speisen die Abwärme im Verwaltungstrakt direkt in den Vorlauf ein. Die komplette Gasheizung ist dann ausgeschaltet, das heißt, wir haben dann eine 100-prozentige Beheizung mit der Abwärme der Drucklufterzeugung.“ Dieser „kurze Stich“ kommt auch im Sommer zum Einsatz, wenn mit der Abwärme die Absorptionskälteanlage gespeist wird. Im Winter werden Produktion und Verwaltung über das große Heizungsnetz beheizt und die Abwärme in dessen Rücklauf eingespeist. Sinken die Temperaturen unter 0 °C, wird die Temperatur des Rücklaufs über die Gasheizung angehoben.
„Auf diese Weise haben wir es geschafft, unseren Gasverbrauch um mehr als drei Viertel zu reduzieren“, rechnet Mak. „Zwei Millionen Kilowattstunden pro Jahr haben wir früher benötigt, bei 450.000 Kilowattstunden sind wir jetzt. Im Sommer sparen wir darüber hinaus noch sehr viel Strom.“
Die Absorptionskälteanlage
Nachdem die Abwärme der Druckluft zunächst nur ins Heizungsnetz eingespeist wurde, dachte man in Herbrechtingen über weitere Nutzungsmöglichkeiten während der Sommermonate nach. Es entstand die Idee, die Schaltschränke an den zwölf Fertigungslinien über eine Absorptionskälteanlage zu kühlen, die wiederum mit der Abwärme der Kompressoren betrieben wird. „Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir die großen Elektroverteilerschränke mit insgesamt 160 Kompressionskältemaschinen gekühlt, die mit Strom betrieben wurden“, erklärt Christian Koch. „Diese haben außerdem Verlustwärme erzeugt und dadurch die Halle weiter aufgeheizt. Das war im Sommer zum Teil ein Problem, denn da stiegen die Temperaturen dann in die Grenzbereiche.“
Seit dem vergangenen Jahr werden die 160 Einzelgeräte nur noch als Redundanz eingesetzt oder um an sehr heißen Tagen Temperaturspitzen abzufangen. Eine zentrale Absorptionskältemaschine erzeugt jetzt die benötigte Kälte, die auf insgesamt sieben Lüftungssysteme verteilt und über Luftumwälzsysteme in die Schaltschränke eingeblasen wird. Die Abwärme der Absorptionskälteanlage gelangt auf einen separaten Wasser-Luft-Außenkühler. „Wir können unsere Schaltschränke jetzt im Sommer mit der Abwärme aus den Kompressoren kühlen und im Winter mit der Außenluft“, beschreibt Horsch die Vorteile des neuen Konzepts. „Auf diese Weise steht uns die Abwärme aus den Kompressoren im Winter zu Heizzwecken zur Verfügung.“
Ebenso wie der Austausch der Kompressoren erfolgte auch der komplexe Aufbau der neuen Kälteanlage bei laufender Produktion. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten funktioniert das Zusammenspiel zwischen Wärmerückgewinnung und Absorptionskältemaschine heute problemlos. „Für den Betrieb der Kälteanlage benötigen wir eine Kühlwassertemperatur aus den Kompressoren von mindestens 85 Grad Celsius. Wenn die Temperaturen dort niedriger sind, fährt die Anlage sofort in den unwirtschaftlichen Bereich“, beschreibt Horsch ein Problem aus der Anfangszeit. „Die interne Wärmesteuerung in den Kompressoren reagierte zu träge und zu langsam auf die Temperaturschwankungen, die vor allem bei den VSD-Maschinen vorkommen. Atlas Copco hat uns daraufhin schnelllaufende servogesteuerte Ventile in die Kompressoren eingebaut, mit denen wir den Schwankungen nun extrem schnell hinterherfahren.“
Allein in den ersten zehn Monaten nach der Inbetriebnahme der Kälteanlage hat das Unternehmen mehr als 700.000 kWh an Strom für die Kühlung der Schaltschränke gespart. „Außerdem fördert das BAFA den Austausch von dezentralen Altgeräten gegen eine zentralisierte Kälteanlage mit einer Abwärmenutzung“, berichtet Mak. „Nach unserer Rechnung erhalten wir im vierten, spätestens aber im fünften Jahr einen echten Rückfluss aus der Anlage“, ergänzt Christian Koch. „Da es bei dieser Anlage um die Themen Energie und Umwelt geht, lässt unsere Geschäftsführung einen späteren Cashflow zu. Normalerweise bevorzugen wir Projekte, die im zweiten Jahr ‚grün‘ werden.“
Bild: In der Kompressoren-Station arbeiten insgesamt fünf ölfrei verdichtende Schraubenkompressoren von Atlas Copco - zwei drehzahlgeregelte ZR 315 VSD FF, zwei ZR 250 FF und ein ZR 90 FF. Im Normalfall sind drei bis vier Kompressoren in Betrieb. (Foto: Atlas Copco)
Quelle: Atlas Copco Holding GmbH